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SCHILLING(-ZIEMSSEN), HANS * München 19. Aug. 1868 | † ebd. 19. Nov. 1950; Kapellmeister, Komponist, Musiklehrer

Durch die Empfehlung Felix Mottls wurde Hans Schilling-Ziemssen 1908 zu einem Probedirigat an der Frankfurter Oper eingeladen; er konnte den Musikalischen Oberleiter Ludwig Rottenberg überzeugen und wurde als erster Kapellmeister angestellt. Daneben dirigierte er die Frankfurter Opernhauskonzerte und gründete 1911 die Bachgemeinde. Die zeitgenössische Presse schätzte seine Arbeit, so schrieb die NZfM zur Uraufführung Wolfgang von Waltershausens Oberst Chabert: „Während man sich […] im Ganzen nicht sonderlich versprach, fand die Uraufführung des von Schilling-Ziemssen befürworteten und geleiteten Werkes einen wirklich starken Erfolg.“ (NZfM 79 (1912) Heft 14, S. 192). Gleichzeitig fiel Schilling-Ziemssen in Frankfurt jedoch negativ auf, wie u. a. ein Bericht in Die Fackel belegt, dem zufolge er „Urheber eines ärgerlichen Konfliktes in einer Bar“ war (Die Fackel 13. Mai 1911). In seinem Lebenslauf äußert er sich zudem negativ über die Entwicklung seiner Dirigentenkarriere, besonders in den Frankfurter „vier Leidensjahren“; die Schuld sah er in der „allmächtigen Vorherrschaft des Judentums“. Somit kann man davon ausgehen, dass es zu Unstimmigkeiten mit dem jüdischstämmigen Rottenberg kam. Dies erklärt vermutlich auch, dass er bereits zur Spielzeit 1911/12 bemüht war, allerdings vergeblich, die Position des Braunschweiger Hofkapellmeisters zu erlangen. Im Sommer 1912 endete schließlich die Frankfurter Anstellung.

Am 30. Mai 1916 kam Hans Schilling-Ziemssen für eine Aufführung von Der Rosenkavalier von Richard Strauss nochmals nach Frankfurt.

Bereits in der Schulzeit trat der Sohn des Gastechnikers Nikolaus Heinrich Schilling mit eigenen Kompositionen hervor. 1885 begann er, gefördert durch den Vater, in München ein Studium der Musik (Komposition bei Ernst Sachs, Violine bei Anton Thoms und Benno Walter bis 1886, 1894–1897 Komposition bei Ludwig Thuille). Im Jahr 1899 heiratete Hans Schilling Margarete Ziemssen, Tochter des Münchener Internisten Hugo von Ziemssen. 1901 trat Schilling, seit 1886 bayerischer Artillerieoffizier, aus dem Heer aus. Darauf folgten musikalische Studien bei Richard Strauss (1901–1902), mit dem er seit Jugendtagen befreundet war, und ein Kapellmeister-Volontariat bei Felix Mottl in Karlsruhe (1902–1904). Seine erste Anstellung als Kapellmeister führte Hans Schilling 1904 an das Stadttheater in Metz. Ein geplanter Wechsel nach Augsburg wurde durch Direktor Carl Häusler vereitelt, sodass Schilling die Spielzeit 1905/06 ohne Anstellung verbrachte. 1906 erhielt er schließlich die Kapellmeisterstelle am Stadttheater Düsseldorf, nachdem er im Januar des Jahres seine Bearbeitung zu Mozarts Il re pastore aufgeführt hatte. 1907–1908 hatte er die Kapellmeisterstelle am Stadttheater Colmar inne, wo seine Oper Sonnwendglut zur Uraufführung kam. Nach seiner oben genannten Zeit in Frankfurt kehrte Schilling 1912 alleine nach München zurück, wo er sich erfolglos um eine Kapellmeisterstelle an der Hofoper bewarb. Seine Frau reichte, nach vorheriger Trennung, noch im selben Jahr die Scheidung ein, die 1913 rechtskräftig wurde.

Von 1913 bis 1914 war er als Kapellmeister und Assistent von Thomas Beecham in London tätig, bis er nach Beginn des Ersten Weltkriegs wieder den Heeresdienst aufnahm. Nach Kriegsende heiratete Schilling seine zweite Ehefrau Emilie geb. Losch in Weßling. Spätestens dann legte er vermutlich den Namen Ziemssen ab, wann genau ist jedoch nicht bekannt; noch 1916 wurde er in der Frankfurter Presse mit dem Doppelnamen erwähnt. In Weßling arbeitete er unter anderem auch an einer unvollendeten Schrift über Richard Wagner. Er bewarb sich auf die Direktorenstelle der Augsburger Musikschule, die er schließlich erhielt; damit einher ging die Leitung des „lange verwaisten, […] Oratorienvereins“ (NZfM 89 (1922) Nr. 1, S. 21). Bereits im Frühjahr 1924 wurde seine Anstellung (offiziell aufgrund finanzbedingten Stellenabbaus) wieder gekündigt, wobei ein nicht unwesentlicher Grund seine politische Haltung gewesen sein wird. Schilling blieb wohnhaft in Augsburg und beschäftigte sich neben der Komposition mit Erfindungen im Bereich der Bühnentechnik, von denen zwei patentiert wurden. 1930 trat er in die NSDAP ein und wurde nach der Machtergreifung Hitlers zum Obmann der Landesleitung Bayern des Reichskartells der deutschen Musikerschaft e. V. ernannt, was dazu beitrug, dass er wieder in seine Geburtsstadt zog. Anfang 1934 wurde er jedoch auf Dauer beurlaubt. Im selben Jahr promovierte Hans Schilling mit einer Arbeit über die Kirchenmusik in Schleswig-Holstein (s. Schriften) in Kiel. In den 1930ern wurde seine Oper Sonnwendglut für den Rundfunk aufgenommen. Dadurch motiviert bemühte er sich vergebens um eine Uraufführung der Baronin Vanstenland, die Joseph Goebbels zunächst ablehnte. Aufgrund seiner langjährigen Mitgliedschaft in der NSDAP wurde Hans Schilling zuerst als Hauptschuldiger eingestuft, schließlich 1948 nach mündlicher Verhandlung als Minderbelasteter, bis er im November desselben Jahres nur noch als Mitläufer verstanden wurde.

Hans Schillings älterer Bruder Eugen (1861–1941) genoss in seiner Gymnasialzeit auch, ebenso gefördert durch den Vater, künstlerischen und musikalischen Unterricht (Klavier bei Josef Giehrl, Viola bei Anton Thoms, Zeichnen und Malen bei Hans von Bartels). So lässt sich die gemeinsame Komposition Wanderlieder erklären. Zudem lernte Eugen später Gesang bei Eugen Gura und verkehrte privat in ähnlichen musikalischen Kreisen wie der Bruder Hans, schlug aber dennoch die Karriere im Gasgewerbe ein. Hier findet sich der einzige Bezug zur Region in der Mitgliedschaft im Aufsichtsrat der Lux’schen Industriewerke in Ludwigshafen 1899.

WerkeWerke mit Opuszahlen: Erinnerung (Sophie Molenaar gewidmet; 3 Lieder für 3st. Fch., Text: Joseph von Eichendorff) op. 1; D-Mbs (Autograph; s. RISMonline) <> Der arme Marquis. Dramatisches Charakterbild mit Gesang in 2 Akten op. 2 (UA Gärtnerplatz-Theater München 7. Nov. 1929) [1927]; D-Mbs (Autograph; s. RISMonline) <> Ein Festgedicht (Vl., kleines Orch.) op. 3, Leipzig: Zimmermann – dass. (Vl., Kl.), ebd. [1901] <> 3 Lieder (S, Kl.) op. 4, München: O. Bauer [1902]; D-Mbs <> Feierlicher Marsch (gr. Orch., Chor) op. 5 (UA Berlin 7. Apr. 1903 unter Richard Strauss) <> Kinderlieder (Sst., Kl.) op. 6, Straßburg: Süddeutscher Musikverlag [1903]; D-B <> Ewges Licht (T, Orch.) op. 7 (UA Tonkünstlerfest Basel 15. Juni 1903), München: O. Bauer – dass. (T., Kl.), ebd. [1903] <> 2 Lieder Letzte Bitte, Letzter Wunsch op. 8, Straßburg: Süddeutscher Musikverlag; D-B <> Sonnwendglut. Dramatische Ballade in drei Aufzügen (Text: Felix Baumbach) op. 10 (UA Colmar 27. März 1908) – Textbuch, München: Alphons Bruckmann [1908]; D-Mbs – KlA., Berlin: Harmonieverlag [1909]; D-B, D-Mbs <> 4 Militärmärsche op. 12, München: M. Hieber [1924] – darunter Nr. 3 100 Jahre Luitpold Kanonier (Kl.); D-B, D-Mbs <> 3 Männerchöre op. 14 <> Oper Baronin Vanstenland. Ernst-heiteres Spiel in 4 Aufzügen (oder Wenn nur die Schwiegermutter …) (KlA.) op. 15 (UA Landestheater Oldenburg 15. Apr. 1935), Augsburg: Selbstverlag 1926; D-B, D-Mbs (dort auch Teilautographe; (s. RISMonline) <> Dreizehn Morgensterne Orchesterlieder („Dem Bayerischen Staatsorchester als seiner künstlerischen Amme der dankbare Säugling im Manne Hans Schilling.“ gewidmet) op. 16 [1927]; D-Mbs (Autograph; s. RISMonline) <> Streichquartett in D-dur op. 17 <> Junker Kai und die Gänsemagd. Sechs dramatische Gesänge (Solostimmen, Mch., Orch.) op. 18; D-Mbs (Autograph; s. RISMonline) <> Fünf Lieder (Damals, Vorfrühling, Begegnung, Diebin, Und Eros spricht (Text: Emil Hügli); Mezzosopran, Kl.) op. 19 <> Zwei Männerchöre mit Klavierbegleitung op. 20, darunter Deutschland und wir <> Vier Lieder (S, Kl.) op. 21 <> Sonatine zur Hausmusik (Vl., Kl.) op. 23 <> Gesänge des Gottsuchers (B, Orch.) op. 24 [1936]; D-Mbs (Autograph; s. RISMonline) <> Sinfonie in Es-dur („Belgrader Sinfonie“) op. 25 [1943]; D-Mbs (Autograph; s. RISMonline) <> Die jungfräuliche Königin Schön Rosemund und das Urbild des Shylock. Romantisch-burleske Oper in fünf Aufzügen op. 26 <> Missa apocryphica op. 27 (St., gem. Chor, Str., Org.) <> opp. 9, 11, 13, 22, nicht erhalten

WoO: Ein deutsches Singspiel <> Ein durstig Lied (S, Kl.); D-Mbs (Autograph; s. RISMonline) <> Gretlein Fis-Dur (Sst, Kl.); D-Mbs (Autograph; s. RISMonline) <> Wanderlieder („von E. & H. Schilling ihrem Vater zum 12. Aug. 82“); D-Mbs (Autograph; s. RISMonline) <> Sancta Barbara Marsch (Militärmusik); D-Mbs (Autograph; s. RISMonline – als Barbara-Marsch (Kl.), München: Hieber [1922] (vermutlich enthalten in op. 12); D-B, D-Mbs – dass. arr. von E. Kaiser (Salonorch.), ebd. [1922]; D-Mbs <> Deutschland erwache! Sängerspruch der Nationalsozialisten (Mch.), Augsburg: Zientner [1934]; D-B <> Weihnachts-Ouvertüre (Kl. 4ms, Vl., Vc.) [1884]; D-Au <> In Sturmkolonnen (Marsch) <> Das Städtchen Suite (Orch.) <> Drei Lieder aus Julius Wolffs Tannhäuser <> Variationen über ein Soldatenlied (Kl.) <> Souvenir de Fürth. Feuille d’Album, composé au souvenir de la »Fertha Kerwa 1894« (Vl., Kl.)

Bearbeitungen: Rameaus Platea oder die eifersüchtige Juno (KlA.) (UA München 26. Jan. 1901), Köln: Albert Ahn 1902; D-B, D-Mbs <> Mozarts Il re pastore (Rezitative und Kadenzen; KlA.) (UA Salzburg 27. Jan. 1906), München 1906; D-Mbs <> Wagners Siegfrieds Erzählung und Tod (Kl., 2 Vl., Vla., Vc., B.) [1885]; D-Au

Übersetzungen: Die Rosenkönigin. Tragisches Idyll in 3 Aufzügen von Carlo Zangarini, deutsche Übersetzung zusammen mit Richard Batka (KlA.), [s. l.]: Selbstverlag 1910; D-Mbs – dass. München: Drei Masken-Verlag 1912; D-Mbs

Schriften: Tobias Eniccelius, Friedrich Meister, Nicolaus Hanff: Ein Beitrag zur Geschichte der evangelischen Frühkantate in Schleswig-Holstein, Berlin: Carmen-Verlag [1937], Dissertation, vorgelegt an der Universität Kiel 1934 (nicht 1937); D-B <> Frankfurt als Musikstadt, in: Reclams Universum: für deutsche Kultur im In- und Auslande, Leipzig: Reclam, Wien: Friese & Lang, Band 28 (1912), S. 12–15.

Quellen und Referenzwerke — Adressbücher Frankfurt <> Briefe von Hans Schilling, s. Kalliope <> Almanach des Frankfurter Opernhauses und Schauspielhauses 1909–1912; Neuer Theater-Almanach 20 (1909), 21 (1910), 22 (1911), 23 (1912) <> NZfM 72 (1905) Nr. 12, 79 (1912) Nr. 14, 89 (1922) Nr. 1, 96 (1929) Nr. 1, 102 (1935) Nr. 2, 103 (1936) Nr. 12, 104 (1937) Nr. 1; Musikalisches Wochenblatt 17. Jan. 1907, 11. Apr. 1907, 16. Apr. 1908; Frankfurter Musik- und Theater-Zeitung16. Mai 1908, 13. Sept. 1908, 27. Sept. 1908; Die Fackel 13. Mai 1911; Frankfurter Nachrichten und Intelligenzblatt 12. Aug. 1915, 31. Mai 1916, 19. Jan. 1917, 21. März 1917; Frankfurter Zeitung und Handelsblatt 12. Aug. 1915, 30. Mai 1916, 16. Juni 1917, 8. Juli 1917; Neueste Zeitung 30. Nov. 1932, 1. Dez. 1932; Radio Wien 15. Mai 1936; Signale für die musikalische Welt 21. Apr. 1937 <> MMB <> Jansa 1911; RiemannL 1922; MüllerDML

Literatur — Günther Grünsteudel, Hans Schilling – Direktor der Augsburger Musikschule 1921–1924. Beiträge zu Leben und Werk, in: Historischer Verein für Schwaben (Hrsg.), Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben 110 (2018), S. 339–384.

Abbildung: Fotografie Hans Schilling-Ziemssens im Almanach des Frankfurter Opernhauses und Schauspielhauses 1911.


Noah Lieven

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